Der Sfratto: Süße Spezialität mit bitterer Geschichte

Pitigliano gilt völlig zu Recht also einer der „borghi più belli d’Italia“. Von der Kirche Madonna delle Grazie aus betrachtet, auf einer Anhöhe ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, scheinen die Häuser eher aus dem Tuffsteinsockel gewachsen als auf ihm erbaut worden zu sein, Und wer die klischeehaften engen italienischen Gassen sucht, durch die dreirädrige „Ape“-Motorräder knattern, bekommt hier die volle „soddisfazione“.

Pitigliano

Pitigliano – wie aus dem Stein gepellt

Wenn man in den Ortskern vordringt, landet man unweigerlich im jüdischen Viertel und wird an den Beinamen „Klein-Jerusalem“ erinnert, den Pitigliano trägt. Die Geschichte der Ortschaft ist seit dem 16. Jh. auch eine jüdische. Hier fanden viele aus dem Kirchenstaat vertriebenen Juden Zuflucht und prägten Handel und Kultur der Stadt entscheidend mit. Im „quartiere ebraico“ lässt sich heute noch unter anderem die Synagoge, das koschere Schlachthaus und der koschere Weinkeller besichtigen.

Mit dem „sfratto“ ins Ghetto getrieben
Eine typisch pitiglianische Süßspeise zeugt von einem Teil dieser Geschichte. Der „sfratto“ ist eine in Teig gerollte goldbraune Füllung aus Honig, Nüssen, Zimt und anderen Zutaten. „Sfratto“ bedeutet eigentlich „Zwangsräumung“ und bezieht sich auf die Zeit, als Pitigliano Anfang des 17. Jahrhunderts an die Medici fiel und nun zum Herzogtum Toskana gehörte. Die Juden wurden aus ihren Häusern vertrieben und in ein Ghetto umgesiedelt – eben das „quartiere ebraico“. Um die jüdischen Bewohner einzuschüchtern, klopften die Abgesandten der Medici bei der Zwangsräumung mit einem Stock an deren Haustüren. Die längliche Form des „sfratto“ erinnert an eben diesen Stock.

Glücklicherweise ist der Geschmack nicht annähernd so bitter wie seine Geschichte. Für alle, die mit dem Probieren nicht bis zum nächsten Maremma-Besuch warten wollen, hier ein Rezept des „sfratto“:

Zutaten für 6 „sfratti“:
Für die Füllung:

  • 500g Honig
  • 600g (geschälte) Walnüsse (bzw. ca. 2kg mit Schale)
  • Schale einer halben Mandarine
  • Schale einer halben Zitrone
  • ein kleines Stück Orangenschale
  • Muskat
  • Zimt
  • 2-3 Hände voll Semmelbrösel

Für den Teig:

  • 500g Mehl
  • 2 Eier
  • 3 Esslöffel Zucker
  • 50g zerschmolzene Butter
  • Anis
  • 1 Schnapsglas halb Anislikör/halb Whisky oder Brandy
  • 100ml Milch
  • 1 Prise Salz

Zuerst die Füllung zubereiten:
Die Nüsse in grobe Stücke hacken und die geriebenen Mandarinen-, Zitronen- und Orangenschalen sowie etwas Muskat, Zimt und Salz hinzugeben.Inzwischen den Honig 20 Minuten lang kochen lassen. Dann die Nüsse und die Semmelbrösel hinzugeben und nochmal 8 bis 10 Minuten kochen lassen. Vom Herd nehmen und auf einem Backpapier mithilfe eines Löffels 6 Häufchen aus der Masse bilden. Etwas abkühlen lassen und mit Öl-befeuchteten Händen aus jedem der Häufchen ca. 25cm lange Würstchen formen.

Jetzt zum Teig:
Alle Zutaten mischen und zu einer festen Masse formen. Eine halbe Stunde lang ruhen lassen. Den Teig in sechs gleich große Stücke teilen und diese ausrollen (Dicke ca. 0,5cm). Darin die sechs Würstchen aus der Füllung einrollen. Die rohen „sfratti“ mit Milch oder Eiweiß bestreichen und 15 Minuten bei 180°C im Ofen backen, dann weitere 5 Minuten bei 200°C. Abkühlen lassen, nach Wunsch in Stücke schneiden und genießen.

Aber Achtung: Das genaue Originalrezept ist natürlich streng gehütet von der jüdischen Gemeinde in Pitigliano. Den absolut echten wirklichen „sfratto“ gibt’s also nur in pitiglianischen „pasticcerie“!

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Eine Antwort zu Der Sfratto: Süße Spezialität mit bitterer Geschichte

  1. Giovanni sagt:

    Reblogged this on Giovanni Racconta und kommentierte:
    Einer dieser Blogs, die ich am Liebsten lese, wenn sich wiedereinmal kein verlängertes Wochenende in Italien ausgegangen ist

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