Schon mal in Tuszien gewesen?

Ein riesiger Vulkansee, eine antike Zivilisation, geheimnisvolle Gräber, märchenhafte Dörfer, wuchtige Burgen, außergewöhnliche Weine, köstliche Haselnüsse – so kennt man Tuszien. Oder kennt man es überhaupt?

Torre Alfina, Tuszien, Latium
Torre Alfina

Wo oder was ist bitte Tuszien? Dazu müssen wir etwas ausholen: Vor etwa 2.500 Jahren beherrschte ein Volk den größten Teil Mittelitaliens, das für seine Handelstüchtigkeit ebenso bekannt war wie für seine ausschweifende Lebensart und seinen Totenkult. Nein, wir reden nicht von den Römern, sondern von den Etruskern!

Die Etrusker: Vorgänger der Römer …

Die Etrusker waren sozusagen die Vorgänger der Römer. Bereits Jahrhunderte vor den Römern etablierten sie eine Hochkultur in Mittelitalien, die anderen großen Zivilisationen, wie etwa dem antiken Griechenland, in Nichts nachstand. Um nur ein paar Punkte anzureißen: Die Etrusker errichteten an der toskanischen Küste und auf der Insel Elba wahre Industriezentren, wo solche Unmengen Eisen hergestellt wurden, dass man die übriggelassenen Schlackereste noch bis zum Jahr 1969(!) profitabel weiterverarbeiten konnte. Die Etrusker legten statt Gräbern ganze Totenstädte an, wo die Verstorbenen in hausähnlichen Gruften beigesetzt wurden, und zwar mit Grabbeigaben, die einem Pharao zur Ehre gereicht hätten. Nicht zuletzt trugen die Etrusker Goldschmuck, der so fein und zeitlos elegant gearbeitet war, dass man ihn ebenso gut im Schaufenster eines heutigen Juweliers auslegen könnte.

Viterbo, Latium
Provinzhauptstadt Viterbo

… und deren Vorbilder

Und die Etrusker waren nicht nur die Vorgänger, sondern auch die Vorbilder der Römer. Vor allem in puncto Mode und „Lifestyle“, aber auch in spiritueller Hinsicht, schauten sich die frühen Römer sehr viel von dieser Hochkultur ab. Was sie nicht daran hinderte, nach und nach die etruskischen Gebiete zu erobern oder sie durch Bündnisse in ihr wachsendes Römisches Reich zu integrierten. Militärisch und organisatorisch waren die Römer eben doch überlegen. Jedenfalls prahlten noch in der römischen Kaiserzeit Adelige damit, dass sich ihr Stammbaum bis zu den Etruskern zurückverfolgen lasse. Vermutlich würde es Rom ohne die Etrusker nicht einmal geben. Vom Gründungsmythos mit Romulus und Remus einmal abgesehen: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Etrusker es waren, welche die Handvoll Siedlungen, aus denen später Rom wurde, zu einer Stadt vereinten – was sie zu den Gründern Roms machen würde. In jedem Fall sicher ist: Die Könige des frühen Römischen Reiches (bevor dieses eine Republik wurde) waren allesamt Etrusker!

Haselnüsse: die Spezialität schlechthin in Tuszien

Die Heimat der „Tusci“

Wir schweifen ab: Was hat das nun mit Tuszien zu tun? Die Etrusker wurden von den Römern „Tusci“ genannt (sie selbst bezeichneten sich übrigens als „Rasna“), und ihr Herrschaftsgebiet hieß „Tuscia“ – zu Deutsch Tuszien. Bis heute versteht man in Italien unter „Tuscia“ den Landstrich zwischen Südtoskana und Nordlatium, der das historische Kerngebiet der Etrusker darstellt. Nicht wenige meinen, in Gesichtszügen und Gestalt der heutigen Dorfbevölkerung Tusziens immer noch die Physiognomie der alten Etrusker zu erkennen.

Warum die Toskana Toskana heißt

Euch ist vielleicht die Namensähnlichkeit von Tuszien mit Toskana aufgefallen. Tatsächlich leitet sich der Name „Toskana“ schlicht von „Tusci“ ab, auch wenn die Grenzen der heutigen Toskana nur zum Teil mit dem alten Tuszien übereinstimmen. Die „Tusci“ bzw. Etrusker gaben übrigens auch dem Meer vor der toskanischen Küste seinen Namen: Das „tyrrhenische Meer“ kommt von den „Tyrsenoi“ – so wurden die Etrusker von den Griechen genannt. Grob gesagt umfasst Tuszien den südlichsten Teil der Maremma, liegt zum größeren Teil aber im heutigen Latium statt in der Toskana, vor allem in der Provinz Viterbo.

Grab der Löwinnen, Nekropole Tarquinia (Foto: Paola Di Silvio)
etruskisches Grab in Tarquinia (Foto: Paola Di Silvio)

Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Tuszien

Vulci

Vulci war rund 600 Jahre vor Christus einer der wichtigsten Stadtstaaten der Etrusker. Bis heute sind im archäologischen Park von Vulci etruskische Grabkammern zu besichtigen. Mehr Zeugnisse hinterließen allerdings die Römer, welche Vulci im 3. Jh. v. Chr. unter ihre Herrschaft brachten. So läuft man auf den original römischen Straßen durch den Park und bewundert Tempel sowie eine Villa mit Mosaikfußböden. Da Zisterziensermönche ab dem 12. Jh. Vulci bewohnten, trifft man auch auf mittelalterliche Bauten: Kirchenruinen, vor allem aber die Burg von Vulci, neben der die sogenannte „Teufelsbrücke“ über den Fluss Fiora führt.

Vulci, Latium

Viterbo

Viterbo, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz ist eine echte Überraschung, erstens wegen des lebendigen Zentrums, zweitens wegen des großen und perfekt erhaltenen mittelalterlichen Stadtkerns. Ersteres liegt vor allem daran, dass Viterbo Universitätsstadt ist, letzteres daran, dass Viterbo im Mittelalter 24 Jahre lang Papstresidenz war, was für eine standesgemäße Bautätigkeit sorgte. Der Palazzo dei Papi (Papstpalast) ist dementsprechend das Vorzeigebauwerk der Stadt. Den Zauber Viterbos erlebt man am besten auf einem Spaziergang durch das San-Pellegrino-Viertel, das „Pilgerviertel“. Die Lage an der Pilgerstraße Via Francigena macht Viterbo nämlich seit Jahrhunderten zu einem Zwischenstopp für gläubige und/oder sportliche Wanderer auf dem Weg nach Rom. Im San-Pellegrino-Viertel wandelt man zwischen urigen mittelalterlichen Häuschen, Gassen und Treppen umher.

Viterbo, Latium

Lago di Bolsena

Als kreisrundes, dunkelblaues Loch tut sich der Bolsena-See in der Landschaft auf. Die Form verrät bereits, dass es sich um einen ehemaligen Vulkankrater handelt; der Lago die Bolsena ist mit einer Fläche von 114 km² sogar der größte Vulkansee Europas. Baden und Windsurfen in dem sauberen Seewasser ist ein Vergnügen, außerdem scharen sich rund um das Ufer so hübsche Ortschaften wie Bolsena, Montefiascone, Marta oder Capodimonte. Wie in Viterbo sind die Dorfkerne im Mittelalter stehengeblieben – was den Orten eine teils romantische, teils geheimnisvoll-düstere Stimmung verleiht. Die Ufer und Inseln des Bolsena-Sees waren bereits von den Etruskern bewohnt; man vermutet dort sogar eine heilige Stelle, an der sich die Anführer der etruskischen Stadtstaaten alljährlich versammelten. Rund um den See erstrecken sich Weinberge, aus deren Trauben der beliebte Weißwein EST! EST!! EST!!! entsteht, den du in jeder Vinothek in Tuszien findest.

Bolsenasee, Tuszien, Latium

Tuscania

Strategisch günstig zwischen Mittelmeerküste, Bolsena-See und dem Hinterland Tusziens gelegen, wurde Tuscania unter den Etruskern zu einer wichtigen Handelsstadt. Die Sarkophage der Etrusker kann man heute im archäologischen Museum von Tuscania bestaunen. Ansonsten präsentiert sich das Zentrum mittelalterlich mit etlichen romanischen Kirchen und einer archaischen, wehrhaften Architektur, vor allem sichtbar an den klobigen Türmen und der Wehrmauer.

Tuscania, Latium

Tarquinia

Tarquinia, eine der ältesten und wichtigsten etruskischen Städte, brachte mehrere römische Könige hervor, die wie bereits beschrieben das Schicksal des frühen Roms lenkten. Zwei davon hießen wie ihre Stadt Tarquinius. Ähnlich wie Tuscania verfügt auch Tarquinia über eine mittelalterlich geprägte Altstadt mit Wehrmauer und Geschlechtertürmen. Und auch Tarquinia hat ein archäologisches Museum (Museo archeologico tarquiniense), in dem Sarkophage und etruskische Alltagsgegenstände ausgestellt sind. Wichtigstes Exponat sind die „cavalli alati“, eine Skulptur, die zwei geflügelte Pferde darstellt, und einmal mehr die Kunstfertigkeit der Etrusker beweist. Was Tarquinia einzigartig macht, sind die etruskischen Gräber am Rande der Stadt – einzigartig, weil die bunten und kurioserweise sehr fröhlichen Malereien in den Grabkammern bestens erhalten sind: Dargestellt sind Alltagsszenen, vor allem Tänze, Feste und Bankette, aber auch sehr explizit erotische Szenen.

Tarquinia, Latium

Torre Alfina

An der Grenze zur Region Umbrien erhebt sich auf einem Hügel das Schloss Torre Alfina, umgeben von dichten Wäldern. Erbaut als mittelalterliche Burg, wurde Torre Alfina in der Renaissance zu einem eleganten Landsitz umgebaut. In dem Innenhof, den mit Fresken bemalten Zimmern und dem monumentalen Kamin sind noch heute die Meißel und Pinselstriche derselben Künstler zu sehen, die während der Renaissance an wichtigen Werken für den Dom von Orvieto und die Stadt Siena arbeiteten. Im 19. Jh. ließ ein Markgraf das Schloss grundlegend renovieren, sodass es sich heute als burgähnliche, aber doch moderne Event- und Hochzeits-Location präsentiert. Auch Führungen können gebucht werden.

Torre Alfina, Tuszien, Latium

Cività di Bagnoregio

Ebenfalls nah an der Grenze zu Umbrien stößt man auf eines der wohl spektakulärsten Dörfer Italiens: Wagemutig auf einen Felsen gebaut und nur über eine 250 m lange Fußgängerbrücke erreichbar, steht die Cività di Bagnoregio inmitten einer wildromantischen Landschaft. Die Etrusker wussten die uneinnehmbare Lage aus Verteidigungsgründen zu schätzen, heute sorgt diese vor allem für sensationelle Panoramen und Fotos. Das Dorf selbst mit seinen gepflasterten Gassen, kleinen Häusern und Plätzen hätte von keinem Märchenerzähler besser erdacht werden können. Kein Wunder, dass hier 2008 der Film Pinocchio gedreht wurde.

Civita di Bagnoregio, Provinz Viterbo, Maremma

Parco dei Mostri

Beim Dorf Bomarzo liegt der „Park der Ungeheuer“, der ausnahmsweise nicht auf die Etrusker zurückgeht. Er wurde im 16. Jh. von einem Adeligen beauftragt, der sich an dieser Stelle einen privaten Zauberwald mit etlichen, riesigen Steinskulpturen schuf. Viele der „Monster“ entstammen der griechischen Mythologie, andere schlicht der Fantasie. Highlight ist das begehbare „Höllenmaul“.

Parco dei Mostri, Latium

Villa Farnese in Caprarola

Wenn man in Tuszien unterwegs ist und sich ein wenig mit der Geschichte befasst, wird man immer wieder auf den Namen Farnese stoßen. Dieses Adelsgeschlecht beherrschte Tuszien im 16. und 17. Jh. und hatte mit dem Herzogtum Castro sogar seinen eigenen, kleinen Staat. Ein beeindruckendes Zeugnis seiner Macht ist die Villa Farnese in der Ortschaft Caprarola. Ein Besuch lohnt sich schon wegen der auffälligen Form des Palastes: ein Fünfeck mit einem kreisrunden Innenhof – nicht umsonst war die Villa Farnese das Vorbild für das Pentagon in Washington. Die Räume und das Treppenhaus sind mit aufwändigen Fresken im Stil des Manierismus ausgestaltet, was sie schon mehrmals zur Filmkulisse machte (u. a. in „Der Pate III“). Die großzügigen und abwechslungsreich gestalteten Gartenanlagen der Villa sind ebenfalls einen Besuch wert.

Das Land der Haselnüsse

Die wichtigste Spezialität Tusziens: Haselnüsse! In den Feinkostläden der Region stößt man immer wieder auf diese Früchte oder auf Produkte wie Haselnusscremes, denn die Sorte „Tonda Gentile Romana“ gedeiht auf den vulkanischen Böden Tusziens (ihr erinnert euch an den Vulkansee Lago di Bolsena) besonders gut. Beim Thema Wein kommt ihr um den bereits erwähnten EST! EST!! EST!!! nicht herum. Rotweintrinkern sei der Canaiolo empfohlen. Diese Traubensorte wird sehr selten reinsortig (also nicht im Verschnitt mit anderen Sorten) gekeltert, außer eben in Tuszien. Dank seines samtigen, vollmundigen Geschmacks zählt der Canaiolo zu unseren absoluten Lieblingsweinen!

Lage Tusziens


Villa Ustoma, Maremma, Toskana

Ferienhaus-Tipp

Ein guter Ausgangspunkt, um Tuszien und das Hinterland der Maremma zu erkunden, ist die idyllische Villa Ustoma.


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