Eigentlich wollten wir nur die „Peschiera di Santa Fiora“ besichtigen, ein malerisches Fischzuchtbecken, das wir bislang nur von Fotos kannten. Wir konnten ja nicht ahnen, dass wir ganz nebenbei das vielleicht schönste Bergdorf der Südtoskana entdecken würden.
Schon auf dem Hinweg fragen wir uns, ob sich die Fahrt hinauf auf den Monte Amiata, die um tausend Kurven und über hundert Schlaglöcher führt, wirklich lohnen würde. Aber was tut man nicht für ein schönes Fotomotiv!
Santa Fiora: vorbildlich herausgeputzt
In dem 2.600-Seelen-Dorf Santa Fiora angekommen, betreten wir die Altstadt und werden erst einmal stutzig: ein großzügiger, gepflegter und lebendiger (immerhin sind wir vollkommen ab vom Schuss) Hauptplatz empfängt uns, zu unserer Rechten heißt uns ein überraschend gut ausgestattetes Tourist Office willkommen, in dem man sogar Fahrten durch die Altstadt buchen kann. Weiter hinten auf dem Platz sehen wir ein topmodernes Bergbaumuseum.
Nichts für ungut: Wir lieben abgelegene südtoskanische Dörfer, aber einige von ihnen haben aus Otto-Normaltourist-Sicht nicht viel zu bieten außer ihrem aus der Zeit gefallenen Charme. Hier aber ist man offensichtlich besser auf den Fremdenverkehr eingestellt, besser sogar als in Grosseto oder Pitigliano!
Vom Mailänder Adel regiert
Wir gönnen uns in einem der Cafés einen Espresso, der mit 2 € tatsächlich in der touristischen Preisklasse angesiedelt ist. Wir sehen uns den Dorfplatz (Piazza del Castello oder Piazza Garibaldi) genauer an: Sofort ins Auge fällt der dominante trutzige Turm des Palazzo Sforza Cesarini. Sforza? Das waren doch die Herrscher aus Mailand zu Renaissance-Zeiten! Tatsächlich hatten die Sforza hier eine kleine Exklave, da Bosio Sforza im Jahr 1439 eine Aldobrandeschi (die lokale Adelsfamilie) heiratete. Der Palazzo Sforza Cesarini beherbergt auch das besagte Bergbaumuseum (Museo delle Miniere di Mercurio del Monte Amiata), welches von der Arbeit in den Quecksilberminen des Monte Amiata erzählt. Die Gewinnung des Minerals war bis zur Schließung der Minen in den 1970er- und 1980er-Jahren ein bedeutender Wirtschaftszweig.
Santa Fiora: Stadt des Wassers
Rechts neben dem mächtigen Turm des Palazzo entdecken wir einen hübschen öffentlichen Brunnen, an dem wir unsere Trinkflaschen auffüllen. In Santa Fiora gibt es eine ganze Reihe solcher Brunnen, aus denen frisches Quellwasser sprudelt. Denn das Dorf liegt an der Quelle des Flusses Fiora, der für die Wasserversorgung der Maremma bis heute unverzichtbar ist. Das Wasser war schon immer Basis des Wohlstands in Santa Fiora. Bereits seit der Jungsteinzeit wussten die Menschen die natürlichen Ressourcen dieses Ortes zu schätzen: Wasser zum Trinken, Kastanien zum Essen und Holz zum Bauen. Und wo Wasser floss, konnte man Mühlen betreiben und vorindustrielle Handwerksbetriebe und Manufakturen ansiedeln. Eigentlich logisch, dass diese florierende Siedlung Santa Fiora (von „flora“) genannt wurde.
Grundnahrungsmittel Kastanie
In den Mühlen wurde übrigens vorwiegend Kastanienmehl gemahlen. Denn die Kastanie war und ist die Frucht schlechthin in den Monte-Amiata-Dörfern. In den Kastanienwäldern wird sie gesammelt und dann in jeder erdenklichen Form zubereitet, zum Beispiel gekocht, geröstet oder eben zu Mehl verarbeitet, nachdem sie über dem Feuer getrocknet wurde. Aus dem Mehl wiederum wird eine Art Polenta gemacht – oder der unwiderstehliche Castagnaccio. Kurz gesagt: Die Kastanie ist auf dem Monte Amiata Grundnahrungsmittel. Backwaren aus Kastanienmehl sowie das Mehl selbst erhält man in der Bäckerei in der Via Roma 1 (am Rande der Piazza del Castello).
Mit der Ape durch die Gassen
Ebenfalls auf der Piazza, im Palazzo Pretorio, rechts neben dem Brunnen, befindet sich das Tourismusbüro. Dort erhält man Karten mit thematischen Stadtspaziergängen und kann eine spaßige Fahrt in einem umgebauten Ape-Roller durch die Altstadt-Gassen buchen. Diese typisch toskanisch steilen und engen Gassen befinden ich im Borgo, einem der drei Stadtdrittel von Santa Fiora („Castello“ mit der Piazza del Castello, „Montecatino“ und eben „Borgo“).
Florentiner Renaissance-Kunst im Bergdorf
Kulturelles Highlight im Borgo ist die Kirche Flora e Lucilla, denn sie beherbergt Kunstwerke von Weltrang. Kein Geringerer als Andrea della Robbia fertigte die meisterhaften Keramiken, die dem Innenraum Leben einhauchen. Für Toskana-Neulinge: Andrea della Robbia gehörte zu den bedeutendsten Künstlern der Renaissance. Am berühmtesten sind seine Reliefs am Ospedale degli Innocenti in Florenz. Werke von seiner Hand in einem abgelegenen Bergdorf der Maremma zu entdecken, ist wirklich eine Überraschung. Zu verdanken haben wir dies der Sforza-Familie, die ihre Exklave anlässlich eines Papstbesuchs im Jahr 1463 herausputzte und dazu einen der angesehensten Bildhauer ihrer Zeit beauftragte.
Die Peschiera: Wahrzeichen von Santa Fiora
Doch zurück zum größten Schatz von Santa Fiora, dem Wasser. Vor lauter Staunen und Schauen hätten wir beinahe vergessen, die berühmte Peschiera zu besichtigen. Die befindet sich im dritten Stadtteil: Montecatino. Die Peschiera ist eigentlich nichts anderes als ein großes Becken mitten im Dorf, in dem das Wasser der Fiora gesammelt wird. Die Aldobrandeschi legten die Peschiera als Forellenzucht an, und bis heute tummeln sich die Fische in dem glasklaren Wasser. Seit der Renaissance ist die Peschiera von einem Park umgeben, der an Idylle in der gesamten Südtoskana unübertroffen sein dürfte. Auch dieser geht auf die Sforza zurück und ist bis heute perfekt gepflegt. Im 19. Jahrhundert erhielt der Park seine heutige Gestalt mit der entzückenden Komposition aus Wasserwegen und Vegetation.
Reich durch Geothermie
Heute ist jedoch nicht mehr das Wasser die Grundlage des Wohlstands von Santa Fiora, sondern die Geothermie. Auf dem Gemeindegebiet befinden sich einige sogenannte „Soffioni“ – Stellen, an denen Dampf aus dem Erdinneren entweicht. Schließlich ist man hier an den Hängen des Monte Amiata, eines ehemaligen Vulkans! Die Erdwärme wird zur sauberen Energiegewinnung genutzt und ist nicht zuletzt der Grund, warum Santa Fiora es sich leisten kann, die eigenen Sehenswürdigkeiten in so vortrefflichem Zustand zu erhalten. Eine Freude, den Reichtum der Gemeinde so sinnvoll eingesetzt zu sehen!
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