Der Monte Labbro ist zwar „nur“ 1.193 Meter hoch. Dennoch fühlen wir uns wie in einer anderen Welt. Zuerst einmal ist es einige Grad kühler als auf Meereshöhe. Zudem erzeugen die bizarren Kalkfelsen eine alpine Aura. Vor allem aber scheinen wir fernab jeglicher Zivilisation zu sein.
Das mag daran liegen, dass wir eine einstündige Fahrt über kurvige und enge Landstraßen hinter uns haben. Oder daran, dass wir unterwegs eine friedlich spielende Wildschweinfamilie gesichtet haben. Sicher aber daran, dass wir von hier oben gefühlt ganz Mittelitalien überblicken.
Auf ins Naturschutzgebiet!
Wir haben uns am Eingang des Naturschutzgebiets „Parco Faunistico“ mit unserer Wanderführerin Irene Pellegrini getroffen. Sie stammt aus der Maremma und hat nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz fließend Deutsch gelernt (Damit haben wir endlich einen Guide gefunden, der seine Touren auf Deutsch anbietet!). Unser Auto haben wir auf dem großzügigen Wanderparkplatz am Eingang des Naturparks abgestellt und machen uns nun auf, den Gipfel des Monte Labbro von der einen Seite zu besteigen, und von der anderen Seite wieder hinab zum Ausgangspunkt zu gelangen.
Wir sind kaum fertig geworden, uns einander vorzustellen, da kommen wir bereits an der ersten Raststation an. Nur wenige Hundert Meter vom Startpunkt entfernt stoßen wir auf eine urige Herberge. Davor hat eine Dame einen Stand mit Käse und einigen anderen lokalen Spezialitäten aufgestellt. Noch haben wir keinen Hunger, aber wir machen aus, dass wir bei der Rückkehr vom Gipfel hier Rast machen. Da dann der Stand schon geschlossen haben wird, kaufen wir etwas Pecorino-Käse, Knabbereien und ein paar lokale Craft-Biere und lassen sie in der Herberge für später in den Kühlschrank legen.
Aufstieg zwischen Macchia, Kalkstein und Panoramen
Jetzt aber nach oben! Halt, zuerst noch ein paar Fotos machen von den Amiatina-Eseln, die neben dem Haus friedlich grasen. Als wir endlich loswandern, geht der Weg bald steil nach oben, ohne dass wir uns aber überfordert fühlen. Auch unsere Turnschuhe sind für die Beschaffenheit der Wege durchaus geeignet. Wir folgen stets dem „Sentiero Monte Labro 1“ (der Berg wird manchmal nur mit einem „l“ geschrieben) und sind bald hoch genug, um besten Meeresblick zu haben – erstaunlich, denn immerhin sind wir gut 40 Kilometer Luftlinie von der Küste entfernt.
Irene deutet auf den gut erkennbaren Monte Argentario. Tatsächlich kann man sogar die Landzungen erkennen, welche die Argentario-Halbinsel ans Festland binden. Rechts daneben das Insel-Juwel Giglio. Immer wieder tauchen wir in die Macchia ab, nur um erneut wunderschöne Panoramapunkte zu erreichen. Die Ausblicke werden immer weiter, und wir kommen kaum aus dem Staunen und Fotografieren heraus. „Wartet nur, bis wir oben auf dem Gipfel sind“, kommentiert Irene, die uns damit eine noch spektakulärere Aussicht verspricht. Vorher kommen wir aber noch an skurril geformten Felsen vorbei: Der Kalkstein wirkt hier, als hätte jemand weiße Platten fein säuberlich zu Türmen aufgestapelt.
Davide Lazzaretti – Prophet oder Hippie?
Nun kommt der Gipfel in den Blick. Das Gipfelkreuz thront auf einem etwas ungeschlachten Turm, um den sich einige Ruinen scharen. Sind das etwa die Überreste einer Burg? Weit gefehlt, denn Irene erzählt uns von Davide Lazzaretti, einer Art selbsternanntem Prophet, der im 19. Jahrhundert gelebt hat.
Dieser war zu Lebzeiten als Wohltäter der damals bettelarmen Bergbevölkerung bekannt und beliebt. Auf dem Monte Labbro hatte er spirituelle Erlebnisse, die ihn dazu bewegten, eine eigene Glaubensgemeinschaft zu gründen. Mithilfe seiner Jünger (im Wesentlichen die Familien aus den umliegenden Dörfern) baute er den Turm, eine Kapelle und eine Handvoll Häuser. Dort lebte er mit seiner Gefolgschaft und praktizierte eine Art Sozialismus christlicher Prägung – mit Teilung von Besitz und Arbeit sowie Leben in Gemeinschaft. Die Behörden vermuteten jedoch umstürzlerische Absichten und ließen Lazzaretti 1878 von einem Polizisten erschießen.
Der Kult um seine Person lebt jedoch bis heute weiter. In den Räumen der kleinen Siedlung finden sich ein gut gepflegter Schrein zu seinen Ehren sowie eine kleine Ausstellung über sein Leben. Manche sehen in ihm einen Heiligen, andere einen Volkshelden, wieder andere einen frühen Hippie.
Blick vom Apennin bis zum Mittelmeer
Oben am Gipfelkreuz auf dem Turm dann die versprochene 360-Grad-Aussicht. Richtung Meer hat man im Blick: die Ebene von Grosseto, Castiglione della Pescaia, die nördliche Küste Latiums und die Insel Elba(!). Richtung Landesinnere unzählige Dörfer sowie die Gipfel des Apennin. Der noch einmal 500 Meter höhere, benachbarte Monte Amiata sieht dagegen zum Greifen nah aus. Wir sind überwältigt und können uns nicht erinnern, wann wir das letzte Mal eine so weite Sicht genossen haben.
Der Abstieg erfolgt auf anderem Weg, wobei wir noch einmal tief in die dichte Vegetation abtauchen. In der Hütte liegt wie besprochen unsere Brotzeit bereit. Zwar haben wir uns auf den knapp über sechs Kilometern (absolviert in gemütlichen zwei Stunden) nicht verausgabt, doch Bergluft macht eben hungrig!
Geführte Wanderungen durch die Toskana
Unter dem Motto „A piedi – die Toskana zu Fuß entdecken“ bietet Irene eine ganze Reihe von geführten Wanderungen (auf Deutsch!) an, unter anderem durch den Maremma-Naturpark sowie in die Vie Cave. Die Details:
- 30 bis 40 € pro Person
- min. 2, max. 6 Personen
- Buchen unter Tel. 0039 328 7178272 oder irene.pellegrini.altropasso@gmail.com
- Irenes Facebook-Seite: https://www.facebook.com/Toskana.zu.Fuss/